Thema: Plurizentrische Sprache

Ostarrichi > Grammatik > Grammatik in Österreich

Plurizentrische Sprache
28.09.2007 von wuppl

@JoDo
28.09.2007 von wuppl

Dank eines unlängst gelesenen Links, der auch auf die Dr-Arbeit des Herrn Retti (Dank unbekannterweise) weiß ich nun, dass das österreichische Deutsch nicht eine eigene Sprache ist.

Vielmehr ist Deutsch - analog zum Franzzösischen, Spanischen, Serbokroatischen, etc - eine plurizentrische Sprache, also eine Sprache mit mehreren gleichberechtigten National/Regionalstilen.

greetz

@wuppl
29.09.2007 von JoDo

Ich sag ja auch immer:
Österreichisch ist eine "eigene" Sprache
Håstmi?

Re: Sprachvariantenvielfalt
29.09.2007 von System1

Vielmehr ist Deutsch - analog zum Franzzösischen, Spanischen, Serbokroatischen, etc - eine plurizentrische Sprache, also eine Sprache mit mehreren gleichberechtigten National/Regionalstilen.

Deutsch ist schon immer eine plurizentrische und pluriareale Sprache gewesen. Und das hat auch jeder schon immer gewusst, weil es mehr als offensichtlich ist. Das Problem bei Monozentristen ist nicht die Erkenntnis, sondern die Anerkennung der Vielfalt. Heutzutage ist auch ein Triozentrismus (Deutschland - Österreich - Schweiz, jeweils als sprachlich in sich einheitlicher und abgegrenzter, nationaler Block suggeriert) von manchen Leuten zu beobachten.

Ich habe mich auch schon eingehend mit dem Thema "Deutsch als plurizentrische Sprache" beschäftigt, und bin zur Erkenntnis gekommen, dass sprachlich alle Menschen im deutschsprachigen Raum im selben Boot hocken.


Dank eines unlängst gelesenen Links, der auch auf die Dr-Arbeit des Herrn Retti (Dank unbekannterweise) weiß ich nun, dass das österreichische Deutsch nicht eine eigene Sprache ist.

Da gibt es doch eine Datenbank im Netz: http://oewb.retti.info/oewb/index.html

Es ist irgendwie logisch, dass da sprachlich das Chaos (Auswertung, Anmerkungen, Belegstellendaten) herrscht.

Und beim Stichwort "Paradeiser": Die Wiener kämpfen erbittert für "den österreichischen Paradeiser", gegen "die deutsche Tomate", aber die Tiroler und Vorarlberger wollen nur "die deutsche Tomate" und geben "den österreichischen Paradeiser" nach Wien zurück

Siebenstecken schreibt:
29.09.2007 von JoDo

Und beim Stichwort "Paradeiser": Die Wiener kämpfen erbittert für "den österreichischen Paradeiser", gegen "die deutsche Tomate", aber die Tiroler und Vorarlberger wollen nur "die deutsche Tomate" und geben "den österreichischen Paradeiser" nach Wien zurück Was hast Du gegen den Paradeiser, oder den Karfiol, Kren, die Germ und was es sonst noch alles Österreichisches gibt?

Hat irgendwer behauptet, diese "unsere" Worte wären die neue Norm, der sich alle anderen zu unterwerfen hätten?

Umgekehrt kommt es mir schon so vor: Aus Deutschland kommt das Hochdeutsch (?). Also lernt gefälligst ihr von uns, ihr rückständigen Ösis! Mir gefällt dieser Sprachimperialismus nicht, der uns zumindest im Synchronstudiodeutsch, einer Sprache, der meine ganze Verachtung gilt, da sie mir als das Gegenteil von dem erscheint, was ich als gutes Deutsch verstehe, begegnet, aber auch in anderen Erscheinungen: Neuerdings werden regionale Sprechweisen (Sächsisch, Schwäbisch, Bairisch und Österreichisch) auch im deutschen TV zitiert, immer aber mit dem Unterton: Na schaut euch diese Sonderlinge an! Die mit diesen "Sondersprachen" ausgezeichneten Sprecher sind immer irgendwie abnormal: Spießer, Schleimer, Psychopathen.

Im Kontakt mit Ausländern, die gerne Deutsch lernen möchten, ist mir 'nicht einmal' die Formulierung untergekommen: ... aber jetzt habe ich mit jemandem gesprochen, der hat wirkliches Deutsch geredet ...
Meinen Adrenalinspiegel daraufhin muß ich Euch nicht vorhalten, "då haut´s da de Kabel ausse".

Die zitierte NO NA Feststellung einer plurizentrischen Sprache ist nicht so selbverständlich, wie sie "Siebenstecken" vermutet, vielleicht zwanzig Jahre ist es her, dass sich jemand getraut hat sowas zu postulieren, und bis heute erscheint mir die damit verbundene gleiche Augenhöhe, mit der der innersprachliche Dialog einhergehen sollte, nicht gegeben.

Daher werde ich - noch eine Weile - den sicherlich auch übertriebenen Standpunkt des "Österreichisch als 'eigene' Sprache" Standpunkt vertreten (dass ich das mit Augenzwinkern tue, wird auch nur der sehen, der es sehen will, den anderen ist sowieso nicht zu helfen), nicht um irgendeinen Herrschaftsanspruch zu begründen, sondern nur um das für mich aus der Balance gekommene Pendel wieder ins Gleichgewicht zu bringen.

Re: Siebenstecken schreibt:
29.09.2007 von System1

Was hast Du gegen den Paradeiser, oder den Karfiol, Kren, die Germ und was es sonst noch alles Österreichisches gibt?

"Kren", "Germ" --> auch Altbayern, "Karfiol" --> auch südliches Altbayern, "Paradeiser" --> (früher) auch nordöstliches Altbayern.
Ich habe nichts gegen diese Wörter, und auch gegen alle anderen nichts, auch wenn sie in Altbayern/Bayern/Süddeutschland nicht vorkommen. Im Gegenteil, die Stärkung und Anerkennung der österreichischen Sprachvarianten stärkt auch die in Süddeutschland. Da habt Ihr es im Vergleich in Österreich noch gut.

Der Hintergrund ist ein anderer: Ich wollte die Aufmerksamkeit darauf lenken, dass auch Österreich offensichtlich kein sprachlich einheitlicher Block ist. Der Eindruck (für Leute außerhalb von Österreich) wird jedoch durch manche erweckt. Zum Beispiel kann ich mich errinnern, dass ich jemandem aus Vorarlberg "leiwand" zugeschrieben hatte (ist schon länger her), weil ich damals noch meinte, es sei ein gesamtösterreichischer Ausdruck ("leiwand" ist ja eines DER Wörter, die in Deutschland als "typisch" österreichisch bekannt sind). Als Antwort wurde "leiwand" als typisch wienerischer Ausdruck klassifiziert. Wenn ich mir "leiwand" als Stichwort im Link, den ich in meinem Vorposting genannt habe, herhole, wird das ja weitgehend bestätigt. Wobei natürlich die Verlässlichkeit einer solchen Untersuchung wieder eine andere Frage ist.


Hat irgendwer behauptet, diese "unsere" Worte wären die neue Norm, der sich alle anderen zu unterwerfen hätten?

Das weiß ich nicht. Ich bin aus Bayern, und bei der Beschäftigung mit der ganzen Sprachsache ist mir aufgefallen, dass so mancher Westösterreicher in Sachen Sprache nicht gerade vor Freude über die Ostösterreicher, speziell die Wiener, juchzt. Also zum Beispiel in http://www.gfl-journal.de/3-2002/putz.html wird das "Österreichische Deutsch" ganz schön auseinandergenommen. Irgendeinen Grund muss das ja alles haben. Ich will mich nicht in innerösterreichische Sprachangelegenheiten einmischen, aber ich will verstehen, was dort abläuft.


Umgekehrt kommt es mir schon so vor: Aus Deutschland kommt das Hochdeutsch (?). Also lernt gefälligst ihr von uns, ihr rückständigen Ösis!
...
Meinen Adrenalinspiegel daraufhin muß ich Euch nicht vorhalten, "då haut´s da de Kabel ausse".


Tja, wir sind halt alle Gscherte

Aber so was nehme ich mit Humor. Ohne den ist man eh verratzt. Ich stamme aus der Oberpfalz, ein Regierungsbezirk in Bayern, in dem größtenteils nordbairische Dialekte gesprochen werden. Da wird von drei Seiten "geschossen": "Preußen", Südbayern und Franken. Manchmal ist das Realsatire pur.


Die zitierte NO NA Feststellung einer plurizentrischen Sprache ist nicht so selbverständlich, wie sie "Siebenstecken" vermutet, vielleicht zwanzig Jahre ist es her, dass sich jemand getraut hat sowas zu postulieren, und bis heute erscheint mir die damit verbundene gleiche Augenhöhe, mit der der innersprachliche Dialog einhergehen sollte, nicht gegeben.

Daher werde ich - noch eine Weile - den sicherlich auch übertriebenen Standpunkt des "Österreichisch als 'eigene' Sprache" Standpunkt vertreten (dass ich das mit Augenzwinkern tue, wird auch nur der sehen, der es sehen will, den anderen ist sowieso nicht zu helfen), nicht um irgendeinen Herrschaftsanspruch zu begründen, sondern nur um das für mich aus der Balance gekommene Pendel wieder ins Gleichgewicht zu bringen.


Es mit Augenzwinkern zu vertreten, ist ja in Ordnung. Allerdings meinen es ein paar offenbar todernst. Ich habe keine Probleme damit, wenn jemand Österreichisch als eigene Sprache bezeichnet bzw. ansieht. Ungemütlich werde ich nur, wenn mir jemand sprachchauvinistisch daherkommt, egal ob vom Süden oder vom Norden.

Und ja, die Einsicht, dass Deutsch eine plurizentrische Sprache ist, ist erst in den 80er Jahren salonfähig geworden. Aber eines sollten die Österreicher nicht glauben: Dass nur sie die Leidtragenden der monozentrischen deutschen Sprachpolitik seien. In ganz Deutschland wurden lange Zeit die Dialekte, Umgangssprachen und Regionalvarianten diskriminiert, ja mitunter schon den Kindern regelrecht ausgetrieben, indem man allen einredete, dass alles, was nicht Standarddeutsch ist, "falsch" sei. Das heißt, das Wissen um die realen Verhältnisse war bei den Sprachpuristen und -reglementierern sehr wohl da.

Heutzutage setzt sich zum Glück der Respekt vor dem Nicht-"Standarddeutsch" immer mehr durch. Und den Österreichern wird von vielen Deutschen, vor allem von denjenigen, denen es ähnlich wie den Österreichern geht, sprachliche Sympathie entgegenbracht.

Das sich ausbreitende Mediendeutsch ist jedoch eine andere Sache. Niemand wird gezwungen, fern zu schauen. Und die Kinder und Jugendlichen saugen die Mediensprache ja regelrecht auf - in Deutschland genauso wie in Österreich. Da sind jedoch die Eltern und das Umfeld gefordert. Ein dritter Bereich sind die Vereinheitlichungen, die sich im Zuge des Austausches, der Mobilität, des Tourismus, des Internets, in der Arbeits- und Handelswelt, der Verständigung, der EU-Internationalisierung, usw. mehr oder weniger natürlich ergeben, quasi als Verkehrssprache. Da wäre es ja realitätsfern, wenn sich Österreich abschotten würde. Und das Vierte ist das, was in der Schule unterrichtet wird, da sind die Lehrer und besonders die Politiker zuständig.

Hallo "Siebenstecken"!
30.09.2007 von JoDo

Na da bin ich aber erleichtert, dass Du die Sache so siehst!

Wobei mich mehrere Dinge besonders freuen:

Du bist einer der raren Teilnehmer dieses Forums aus Deutschland. Das bedarf einmal einer besonderen Erwähnung, denn im Großen und Ganzen sind hier die von allen ungeliebten (!) Ostösterreicher vertreten. (Ich bin Wiener, dafür kann ich nichts, und wie es sich für unsereinigen gehört, empfinde ich eine ordentliche Portion Hassliebe zu dieser unserer Stadt. Vielleicht ist es doch so, dass der Anteil Liebe überwiegt, aber ich möchte nicht unkritisch sein, oder das Eigene als Maß der Dinge hinstellen. Das habe ich auch von anderen Wiener Teilnehmern bemerkt, die ganz begierig nach regional verschiedenen Einträgen in diesem Forum sind. Also, dass das Ostösterreichische-Wienerische dominiert, ist eine rein rechnerische Tatsache, zufrieden damit bin ich nicht.)

Die Gegend in unserem Sprachraum, aus der Du kommst, hat, wie Du schön darstellst, sprachlich ja wiederum ganz eigene Reize. Mich würde sehr interessieren, darüber bei Gelegenheit mehr zu erfahren, und wenn Du Zeit hast hier einiges zu präsentieren, dann sei herzlich willkommen.

Die von Dir hier zitierten "kritischen Überlegungen" von Martin Putz zum "Österreichischen Deutsch" habe ich mir noch nicht bis auf das letze Wort durchstudiert, beim flüchtigen Drüberlesen fällt mir aber auf, dass es sich dabei um eine ressentimentgeladene Abrechnung der persönlichen Art mit einigen Protagonisten der Szene handeln dürfte. Anders ist es nicht erklärbar, dass da alles, was für die österreichische Eigenart spricht heruntergemacht wird. (Wie kann man sonst folgende "Belege" für die Nichtexistenz des Österreichischen zitieren, wie: DDR-Deutsch, Stalinismus, Kottan, Mundl, die bösen Wiener sowieso, und alles schön in einen Topf und Deckel drauf ...). Was das Dokument aber nicht weniger lesenswert macht, mir sind solche kontrovers geführten Diskussionen ganz recht, weil sie zum Reflektieren anregen. Ich kann mich sowieso nicht entscheiden, ob ich den Argumenten von Muhr, Pohl, Scheuringer oder von wem auch immer folgen kann und soll.

Zitat (wenn´s hoffentlich richtig is: Greil, Josef; Wolkerstorfer, Andreas / Wortprofi. Österreichisches Schulwörterbuch / R. Oldenbourg, Wien)
Die Gesamtheit der standardsprachlichen Differenzen zwischen dem in Österreich und dem in Deutschland verwendeten Deutschen, die sich in Form von Merkmalen an einzelnen Wörtern festmachen lassen, mag auf den ersten Blick nicht groß genug sein, um von einem "österreichischen Deutsch" zu sprechen. Dennoch sind es diese Unterschiede – dazu kommen Nuancen im Sprachverhalten –, die dem Deutschen in Österreich eine unverwechselbare und nicht austauschbare Individualität verleihen und von denen jene sprachliche Atmosphäre ausgeht, an der sich etwa literarische Texte österreichischer Herkunft als solche erkennen lassen.

Für mich ist das Österreichische weniger an die Verwendung bestimmter Worte gebunden (Du musst nicht "leiwand" sagen), oder durch große Unterschiede in Grammatik, Orthographie gekennzeichnet, sondern in so schwer wägbaren "soft qualities" (Soft qualities are the emotion, aesthetic, brand identity, social, and interaction aspects of a product or service—those that integrate into and define lifestyle. ... herausgegugelt)
Diese äußern sich in der "Art" Sprache zu formulieren, dem Duktus, den Gedanken und Strukturen hinter der Sprache, vor der Einkleidung in Worte. Das zu definieren fühle ich mich nicht berufen, stelle das nur einmal so zur Diskussion.

Und meiner Meinung nach gibt es sehr wohl eine Klammer vom Bodensee bis zur Neusiedler Pfütze, die einen Sprecher aus diesem Gebiet als Österreicher erkennbar macht. Wie sonst ist es möglich in Deutschland sofort als Österreicher erkannt zu werden und nicht als Südbayer oder Ostschweizer?

Damit möchte ich auch deutlich machen, dass es mir nicht um eine österreichische Sprachnorm in dem Sinn geht, dass sie bestimmte Wörter, Phrasen und Grammatik zwingend über das ganze Land vorschreibt, wer lieber Tomate als Paradeiser sagt, dem wird nicht gleich die Staatsbürgerschaft entzogen, und wenn sich ein Bregenzer in Lindau oder in St. Gallen wohler fühlt, als in Wien, wer kann´s ihm verübeln? Ob jemand Fisolen sagt, oder Strankelen, macht keinen Sprachunterschied aus. Dieses Gröscherlzählen ist mir zutiefst zuwieder. Bei der erstaunlich geringen Zahl von österreichischen Sonderwörtern, und die in regional unterschiedlicher Verbreitung, taucht natürlich die Frage auf: WAS macht dann diese Eigenheit des Österreichischen aus?
Lass mich das so formulieren: Es ist die Rezeptur, die aus den gleichen Zutaten doch ein anderes Ergebnis entstehen lässt.

Siebenstecken schreibt:
Ich habe nichts gegen diese Wörter, und auch gegen alle anderen nichts, auch wenn sie in Altbayern/Bayern/Süddeutschland nicht vorkommen. Im Gegenteil, die Stärkung und Anerkennung der österreichischen Sprachvarianten stärkt auch die in Süddeutschland. Da habt Ihr es im Vergleich in Österreich noch gut.

Bei der gegenseitigen Bestärkung bin ich sofort dabei!

Neulich hat hier jemand als Kommentar die Formulierung hinterlassen: "... österreichische Wörter ins Hochdeutsche übersetzen ...".
Darauf konnte ich nicht anders reagieren als mit der Antwort: "Österreichisch IST Hochdeutsch!"

Siebenstecken schreibt:
Ich habe keine Probleme damit, wenn jemand Österreichisch als eigene Sprache bezeichnet bzw. ansieht. Ungemütlich werde ich nur, wenn mir jemand sprachchauvinistisch daherkommt, egal ob vom Süden oder vom Norden.

So is´s recht. Und diese "todernste" Abrechnung mit Wiener Sprachinstitutionen halte ich ein bissl für übertrieben. Da hat unser guter Innsbrucker vielleicht a schlechte Nacht g´habt ...

Siebenstecken schreibt:
Heutzutage setzt sich zum Glück der Respekt vor dem Nicht-"Standarddeutsch" immer mehr durch. Und den Österreichern wird von vielen Deutschen, vor allem von denjenigen, denen es ähnlich wie den Österreichern geht, sprachliche Sympathie entgegenbracht.

Oh, was für ein schönes Schlusswort.

Einfach ist nichts.
01.10.2007 von System1

Eines ist klar: Das Thema "deutsche Sprache und deutschsprachiger Raum" ist äußerst komplex. Vereinfachungen oder gar Pauschalisierungen bringen nichts. Das Interessanteste, was ich in Bezug "Österreichisches Deutsch" bisher im Netz gelesen habe, ist http://members.chello.at/heinz.pohl/OesterrDeutsch.... Das andere, auf was ich verwiesen habe, d. h. die Ausführungen des innsbrucker Autors, erscheinen auch mir in Teilen nicht so sachlich. Aber manchmal braucht es gerade das, denn dann fragt man sich: "Ist dieses und jenes wirklich so, oder ist das nicht richtig dargestellt?", woraufhin man selber überlegt und nachforscht, und somit seine Kenntnisse vertieft und erweitert, und auch neue Einsichten gewinnt.

Es gibt sprachliche Unterschiede und sprachliche Gemeinsamkeiten zwischen Österreich und Deutschland. Wobei eines zu bedenken ist: Innerhalb von Deutschland gibt es teilweise große Unterschiede in der Praxis, auch wenn es von außen mitunter so ausschaut, als wäre Deutschland ein sprachlicher Block. Das merkt man in Bayern zum Beispiel bei Arbeitskollegen aus Norddeutschland, die sich in Bayern sprachlich erst einleben müssen. Und das betrifft nicht nur die Sprache im engeren Sinn, sondern auch das Sprachverhalten.

Diese Unterschiede merke ich auch im Ostarrichi-Wörterbuch. Da kann ich als Bayer paradoxerweise mit am wenigsten mithelfen, denn ich kenne einerseits weder die Sprache in Österreich, noch die Sprache in Nord- und Mitteldeutschland genau, aber andererseits liegt mein Sprachgefühl mehr in der südlichen Mitte des deutschsprachigen Raums, also ist mir teilweise sowohl das eine wie auch das andere nicht so fremd. Die deutschen Übersetzungen/Entsprechungen im Ostarrichi-Wörterbuch klingen für mich teilweise "nordisch", und ab und zu brauche ich tatsächlich den österreichischen Ausdruck als Verständnishilfe für den angegebenen deutschen Ausdruck.

Da liegt auch ein Problem, dass ich feststelle: Dass ein Teil der im Wörterbuch festgehaltenen sprachlichen Unterschiede zwischen Österreich und Deutschland erstens Unterschiede zwischen dem südlichen bzw. dem gesamtbairischen Deutsch (Kategorien B und C in der Klassifizierung von H. D. Pohl) und dem mittleren bzw. nördlichen Deutsch sind, die "Grenze" also mitten durch Deutschland geht, und zweitens auch Unterschiede in der Sprachebene u. ä. (Schrift- vs. gesproche Sprache, Standardhochsprache vs. Umgangssprache vs. Dialekt, Fachsprache vs. Allgemeinsprache, gehobene/literarische vs. Alltagssprache, veraltende/seltene Wörter vs. gebräuchliche/häufige Wörter) sind.

Da ist eine Zusammenarbeit zwischen dem Norden, der Mitte, dem Süden, dem Westen und dem Osten des gesamten deutschsprachigen Raums notwendig, denn ich denke, dass die wenigsten Menschen in Sachen deutsche Sprache im Ganzen alles kennen.

Ein wichtiger Unterschied zwischen Österreich und Bayern, der nicht direkt mit der Sprache zu hat, ist auch, dass in Österreich vieles offiziell hochsprachlich bzw. schriftsprachlich ist, während es in Bayern nur inoffziell bzw. umgangs-/dialektsprachlich ist oder als das gilt bzw. angesehen wird (ich beziehe mich jetzt auf die Gemeinsamkeiten, also Kategorien B und C). Das hat in Bayern dazu geführt, dass viele Wörter aus der Schrift-/Standard-/Hochsprache "herausgefallen" sind, oder veralten, seltener werden oder gar schon ausgestorben sind, während sie in Österreich noch rundum in Gebrauch und lebendig sind. Aus einem anderen Blickwinkel kann man auch sagen, dass das heutige Bayern "die anschauliche Schreckensvision" eines zukünftigen Österreichs ist. Wobei ein sprachlich geschwächtes Bayern/Süddeutschland praktisch automatisch Österreich sprachlich mit schwächt. Zum Beispiel wird ein "die Stiege hinauf" eines österreichischen Autors in einem bayerischen/süddeutschen Verlag eher in ein "die Treppe hoch" "korrigiert", wenn den Menschen am Verlagsort die ursprünglich gleiche sprachliche Eigenheit fremd geworden ist. Und ein bayerischer Autor wird heutzutage eher gleich "die Treppe hoch" schreiben, auch wenn er in seiner alltäglichen Sprache noch "die Stiege hinauf" sagt.

Zum Wort "Hochdeutsch": Das hat ja zwei verschiedene Bedeutungen. In der allgemeinen Verwendung steht es für "Hoch-/Standardsprache" im Gegensatz zu "Umgangssprache" und "Dialekt". In der Sprachwissenschaft als Gegenüberstellung zu "Niederdeutsch", vor allem in Bezug auf die Dialekte. Also Deutsch --> Niederdeutsch/Hochdeutsch, Hochdeutsch --> Mitteldeutsch/Oberdeutsch, Oberdeutsch --> Bairisch, Alemannisch/Schwäbisch, Ost-/Südfränkisch. Die Norddeutschen haben im Mittelalter noch allgemein Niederdeutsch geredet und geschrieben. Im Süden des deutschen Sprachraums war im Mittealter noch Oberdeutsch tonangebend. Im Norden gab es einen großen Bruch vor rund 500 Jahren, als die Norddeutschen ihre niederdeutsche Sprache, ihre niederdeutschen Dialekte abgelegt haben, und eine hochdeutsche Sprache (eine Mischung aus Mittel- und Oberdeutsch) angenommen haben. Im Süden gab es zwar keinen derartigen Bruch, aber das Oberdeutsche verlor an Bedeutung, wobei dann zuerst das Mitteldeutsche tonangebend wurde, das bis ins 18. Jahrhundert als "das beste Deutsch" galt. Später wanderte das Ansehen weiter nach Norden. Dort wurde vor 500 Jahren bei der Übernahme wirklich nach der Schrift gesprochen (und wie die Leute eben ihr Niederdeutsch sprachen), weil das Hochdeutsche den niederdeutsch Sprechenden von der Ausssprache her fremd war. Im Norden wurde also die Mischung aus Ober- und Mitteldeutsch durch niederdeutsche Elemente (Wortschatz und Aussprache) ergänzt. Und das wanderte das im 19. und 20. Jahrhundert nach Süden und wurde vom Süden auch freiwillig und sogar teilweise absichtlich übernommen, und wurde schließlich tonangebend. Die heutige Standardsprache ist sprachgeschichtlich gesehen also eine Mischung aus Ober-, Mittel- und Niederdeutsch, aber vom Gesamtcharakter her Hochdeutsch. Im Laufe der Jahrhunderte haben sich die Sprachvarietäten im Süden jedoch gleichzeitig teilweise wegentwickelt von den ursprünglichen oberdeutschen Elemente in der heutigen Hoch-/Standardsprache. Die deutsche Sprache hat einen komplizierten und verschlungenen Weg hinter sich. Einfach ist da nichts.

P.S.: Das unter anderem sprachliche Zentrum in Sachen Bairisch/südlichöstliches Deutsch ist in Altbayern München, der Osten und besonders der Norden haben weniger Gewicht als der Südwesten. Also quasi spiegelverkehrt zu Österreich.

Für den obenstehenden Beitrag
01.10.2007 von JoDo

würde ich gerne das Prädikat:
Lesenswerter Artikel
vergeben, wenn wir sowas hätten!

01.10.2007 von wuppl

ich kann mich JoDo nur anschließen

greetz

01.10.2007 von wuppl

das problem der doppelten verneinung im urbanen raum besteht meines erachtens unter anderem darin, dass viele der heutigen Jugendlichen entweder Eltern der "Dialekt ist Pfui"-Generation oder solche mit - auch innereuropäischem - Migrationshintergrund haben.

Da wirkt jedoch jegliche zwanghafte Verwendung einer vermeintlich tollen Mundart oder eines Pseudodialektes befremdlich (ich erinnere mich da an eine junge Dame, die im Gender Mailnstreaming Wahn, den Oidn zur Oidn im Sinne von "Geh, Oidi!" machte. Was sowieso doppelt falsch ist, wenn dann mit E am schluß bitte, aber auch das ist scheußlich).

Nachdem ich jedoch auch oft Mundart rede, bekenne ich mich als zeitweiliger urbaner Doppelverneiner (odia, i moch nia net a doppelverneinung) schuldig.

greetz

01.10.2007 von wuppl

*fg*

die doppelverneinung ist jedenfalls meist von anderen erhörbar, was bei der selbstbefriedigung zum glück höchst selten der fall ist

der tick interjektionen wie "oida" permanent zu verwenden, soviel sei dem beobachter gewährt zu erwähnen, geht lwahrhaft lästigerweise oftmals damit einher, dass die user (im Suchtsinne!) derselben, im zwigespäch mit anderen (oft fast ein monolog) oftmals dazu neigen, die aufmerksamkeit des nach längerem gespräch weniger geneigten zuhörers durch ständiges "mit der hand anstupsen" erregen zu wollen. (zitat meiner lieblingswirtin: "des kummt glei noch die krautfleckerl")

greetz und gute besserung

Re: @JoDo
04.07.2008 von System1

Dank eines unlängst gelesenen Links, der auch auf die Dr-Arbeit des Herrn Retti (Dank unbekannterweise) weiß ich nun, dass das österreichische Deutsch nicht eine eigene Sprache ist.

Vielmehr ist Deutsch - analog zum Franzzösischen, Spanischen, Serbokroatischen, etc - eine plurizentrische Sprache, also eine Sprache mit mehreren gleichberechtigten National/Regionalstilen.

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Es gibt ein österreichisches Standarddeutsch, ausserdem ein deutschschweizerisches und ein deutschländisches Standarddeutsch. Das sind unterschiedliche Sprachvarietäten.

Re: Plurizentrische Sprache
04.07.2008 von JoDo

Hast Du Dir die vorangegangenen postings auch gut durchgelesen?

Re: Plurizentrische Sprache
18.07.2008 von wuppl

sei bedankt jodo *g*

Weshalb sagst du nicht einfach: "Ich danke dir"?
21.07.2008 von System1

sei bedankt jodo *g*

"Sei bedankt!" ist in allen Standarddeutsch falsch – auch im österreichischen. Weshalb sagst du nicht einfach: "Ich danke dir"?

Das österreichische Standarddeutsch ist eine nationale Varie
21.07.2008 von System1

Dank eines unlängst gelesenen Links, der auch auf die Dr-Arbeit des Herrn Retti (Dank unbekannterweise) weiß ich nun, dass das österreichische Deutsch nicht eine eigene Sprache ist.

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Doch, das österreichische Standarddeutsch ist eine eigene standardisierte Sprachvarietät – gleich berechtigt. (Der Ausdruck 'unbekannterweise' ist jedoch in allen Standarddeutsch falsch.)

„... Von einer plurizentristische Sprache spricht man dann, wenn diese in mehr als einem Land als nationale oder regionale Amtssprache in Gebrauch ist und wenn sich dadurch standardsprachliche Unterschiede herausgebildet haben. ...“ (Variantenwörterbuch, Seite XXXI)

Re: Plurizentrische Sprache
23.12.2008 von wuppl

gönn mir doch das vergnügen oberhaenslir, "sei bedankt" verwende ich schon seit "jahrhunderten" *g*

insoferne, als das auch einige andere leute die ich kenne verwenden ists also entweder mehrfach in falscher verwendung, oder habe ich die anderen in meiner umgebung einfach damit infi(s)ziert?

lg
wuppl

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Österreichisches Deutsch bezeichnet die in Österreich gebräuchlichen sprachlichen Besonderheiten der deutschen Sprache und ihres Wortschatzes in der hochdeutschen Schriftsprache. Davon zu unterscheiden sind die in Österreich benutzten bairischen und alemannischen Dialekte.
Teile des Wortschatzes der österreichischen Standardsprache sind, bedingt durch das bairische Dialektkontinuum, auch im angrenzenden Bayern geläufig.

Einige Begriffe und zahlreiche Besonderheiten der Aussprache entstammen den in Österreich verbreiteten Mundarten und regionalen Dialekten, viele andere wurden nicht-deutschsprachigen Kronländern der Habsburgermonarchie entlehnt. Eine erhebliche Anzahl rechts- und verwaltungstechnischer Begriffe sowie grammatikalische Besonderheiten gehen auf das österreichische Amtsdeutsch im Habsburgerreich zurück.

Außerdem umfasst ein umfangreicher Teil des speziell österreichischen Wortschatzes den kulinarischen Bereich; manche dieser Ausdrücke sind durch Verträge mit der Europäischen Gemeinschaft geschützt, damit EU-Recht Österreich nicht zwingt, hier fremde deutschsprachige Begriffe zu verwenden.
Daneben gibt es in Österreich abseits der hochsprachlichen Standardvarietät noch verschiedene regionale Dialektformen, hier insbesondere bairische und alemannische Dialekte. Diese werden in der Umgangssprache sehr stark genutzt, finden aber keinen direkten Niederschlag in der Schriftsprache.

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